Durch die Wüste

Wir verlassen Teheran. Auf dem Weg durch die Stadt fährt Micha zunächst ein Moped hinten drauf. Glücklicherweise entsteht dabei kein Schaden, also fahren wir weiter. 

Kurz später fährt ein anderer Mopedfahrer direkt neben mich und hält meine Geschwindigkeit, um auf meiner Höhe zu bleiben. Ich ignoriere ihn, weil ich keine Lust habe meine Aufmerksamkeit in dem turbulenten Verkehrschaos schon wieder auf einen Smalltalk zu lenken, wie er häufig von uns eingefordert wird. Plötzlich greift mir der Fahrer gezielt und blitzschnell an den Lenker und reißt mein Smartphone von der Halterung. Das Handy fällt zu Boden und übersteht den agressiven Diebstahlversuch mit einigen Kratzern. Der Fahrer gibt Gas und verschwindet im Verkehr. Der Schock sitzt erst mal. Als ich dann noch feststelle dass ich mein aufladbares Rücklicht verloren habe, ist die Stimmung, nach gerade einmal zehn Kilometern, am Tiefpunkt angekomme und wird es auch im weiteren Verlauf des Tages nicht mehr so recht auf die Höhe schaffen.

Kurze Zeit später sitzen wir am Straßenrand und machen eine kleine Pause um den Schreck zu verarbeiten. Der gute Glaube in die Mitmenschen erfährt schnell wieder einen positiven Schub, als ein LKW-Fahrer, der uns da so sitzen sieht, aus seinem Fahrzeug aussteigt und uns 200.000 Rial schenken möchte. Er wolle unsere Reise damit unterstützen. Wir versuchen mehrmals die Spende entschieden abzulehnen, doch dann steckt er uns das Geld in die Lenkertasche, steigt wieder ein und fährt winkend davon. Ein weiterer Passant bringt uns eine Tüte Sonnenblumenkerne. Wir müssen tatsächlich sehr niedergeschlagen aussehen, bei so viel aufmunternder Zuwendung, wie wir sie bekommen.

Der Sonne zum Trotz

Jetzt fahren wir erstmals in die Wüste. So weit das Auge reicht sieht man nur braunes, trockenes Land. Wäre dieser Blog eine ProSieben-Reportage, würde ich von einer "lebensfeindlichen Umgebung" sprechen, aber wir sind ja gut ausgerüstet und schreiben nicht für das Privatfernsehen. Abseits der Straße liege ich am Abend im Zelt und beobachte wie der Vollmond hinter den Bergen aufgeht. 

Der Vollmond geht hinter den Bergen auf.

In Kashan gibt es ein kleines Sightseeing-Programm. Wir schauen uns ein historisches und recht prunkvolles Anwesen damaliger Teppich-Händler an. Hier sehen wir auch erstmals Stände mit klassischem Touristen-Nippes.
Nach der Besichtigung sehe ich, dass mein Lichtschalter zerbrochen ist, über den auch die Stromversorgung für mein Smartphone läuf. Sicherlich haben Passanten schon wieder aus Neugier so lange daran rumgedrückt und rumgegummelt, bis das Teil kaputt gegangen ist. Micha hat Sekundenkleber dabei. Ich bin etwas nervös beim zusammenkleben, weil ich es anschließend nicht mehr auseinander bekommen werde, falls es danach nicht funktionieren sollte und ich ohne Stromversorgung aufgeschmissen bin, aber es klappt zum Glück und der Strom fließt wieder.

Sightseeing in Kashan



Wir fahren nun richtig in die Wüstenregion hinein. Die Straße teilt das Land. Westlich von uns liegen jetzt nur noch hunderte Kilometer ewige Steppe und Sand, so weit das Auge reicht. Zelten zwischen Sanddünen unter freiem Sternenhimmel ist immer ein Highlight.




Abfahrt am Morgen

Lässt sich leider nicht vermeiden

Am nächsten Vormittag führt unser Weg durch trostlose Näster: Eine Hausreihe auf der einen Straßenseite und noch eine Hausreihe auf der anderen Straßenseite. Dahinter: Sand. Die kleinen Ortschaften wirken faßt ein wenig gespenstisch.
Dann fällt mir ein Auto auf, das etwa hundert Meter vor uns her fährt und über einige Kilometer unsere Geschwindigkeit beibehält. Als es mir unheimlich wird halte ich an. Plötzlich hält auch das Auto an. Es steht kurz, dann legt der Fahrer den Rückwärtsgang ein und kommt gezielt auf uns zugefahren. Als der Mann aussteigt entspannt sich die Situation sogleich. Er kommt mit seiner Frau lächelnd auf uns zu und stellt sich vor. Dann fragt er, wie er uns unterstützen kann, ob wir mit ihm zum Mittagessen nach Hause kommen möchten, oder ob wir Geld benötigen. Nachdem wir dankend abgelehnt und uns verabschiedet haben, schaltet er die Warnblinkanlage ein und eskortiert uns noch einige Kilometer - zur Sicherheit. Dann biegt er irgendwann ab und wünscht uns noch alles Gute.

Das obligatorische Selfie

Für die Menschen hier ist es ein Highlight uns zu begegnen. Das Interesse ist enorm und Touristen, insbesondere Radreisende sind in den meisten Regionen selten bis nie gesehen. Das zu berücksichtigen, hilft ein wenig dabei, mit der teilweise an den Tag gelegten Distanzlosigkeit umzugehen und auf die immer gleichen Fragen die immer gleichen Antworten zu geben, obwohl man eigentlich gerade mal seine Ruhe bräuchte. Ein junger Mann, mit dem wir einen kleinen Plausch hatten, schrieb zum Beispiel anschließend zusammen mit einem Foto das er von uns gemacht hatte auf Twitter:

@Nicoleopter 
today was a great day.meeting two  man from Germany.they travel such a long distance from Germany and their destiny is India! https://t.co/89VACPK3Iw

Befremdlich für uns ist übrigens die Freude, die uns die Menschen entgegen bringen, wenn sie erfahren dass wir aus Deutschland kommen, da Iraner und Deutsche schließlich alle Arier seien. Hier liegt natürlich ein schwerwiegendes Missveeständnis vor, da es sich bei dem Begriff "Arier" zunächst um eine Eigenbezeichnung persischer Völker handelt, der lediglich im Nationalsozialismus missbraucht worden ist. Dies ohne eine gemeinsame Sprache aufklären zu können, ist leider kaum mölglich, weswegen es meist bei einem müden Lächeln bleibt, wenn die scheinbare Gemeinsamkeit zur Ansprache kommt.



Propaganda am Straßenrand


Als nächstes geht es auf etwa 2500 Höhenmeter und anschließend nach Varzaneh. Die Fahrt dorthin ist grandios. Bei Sonnenaufgang kurbeln wir uns auf einer verlassenen Straße ins Gebirge, rauschen am Mittag mit Rückenwind bergab ins Tal und schweben am Nachmittag mit Highspeed auf einer Ebene mit ewigem Weitblick über die Wüstenstraße.





In Varzaneh, einem sehr gemütlichen kleineren Ort, an dem wir uns zwei Tage erholen, scheint die Zeit still zu stehen. Die Frauen tragen hier nicht schwarze sondern weiße Umhänge. Ältere Männer sitzen tagsüber am Straßenrand im Schatten.

Erholungspause in Varzaneh
Moschee-Eingang in Varzaneh
Öffentlicher Trinkwasserspender


Hinter Varzaneh erstrecken sich Sanddünen über etwa 40 Kilometer entlang der Straße. Dazwischen liegt eine Salzwüste, ein zum großteil ausgetrockneter See in dem Kochsalz abgebaut wird. Nachdem wir sie durchfahren haben, klebt das Salz überall an den Rädern und Taschen. Zwischen den Sanddünen schlagen wir unser Nachtlager auf. Hier ist es so still, dass man es im Ohr rauschen hört, bis etwas Wind aufkommt.

mit dem Rad zwischen die Sanddünen

Sanddünen bei Varzaneh


Spaziergang über die Dünen


Sonnenuntergang hinter Varzaneh

Morgens nach Sonnenaufgang auf der Sanddüne

Salz

und noch mehr Salz

Mit dem Fahrrad durch die Salzwüste

Die nächste Etappe führt uns über eine 120 Kilometer lange Straße durch die Wüste, an der es weit und breit keine Ortschaft oder anderweitige Infrastruktur, geschweigedenn einen Laden oder Ähnliches geben wird. Also müssen wir am Vormittag zunächst die Vorräte organisieren und insbesondere ausreichend Wasser einpacken. Insgesamt elf Liter verstaue ich an meinem Fahrrad. Ich möchte bei der Hitze schließlich nicht sparen müssen und mir am Abend auch noch eine kleine Körperwäsche genehmigen können. Die Strecke fährt sich wunderbar und ich genieße die Einsamkeit umd das ewig weite Land sehr. Bereits am nächsten Vormittag kommen wir in der historischen Stadt Abarkuh an. Die Hälfte der Wasservorräte wäre ausreichend gewesen, aber es ist gut zu wissen, dass wir auch weite Distanzen ohne Versorgungsmöglichkeit problemlos bewältigen können.

Ein Windfänger des auf dem 20.000-Rial-Schein abgebildeten historischen Gebäudes in Abarkuh

Blick auf den Innenhof

Das historische Zentrum von Abarkuh

Siehe auch Michas Blogbeiträge zu dieser Etappe: Wüste, Sand und Berge - von Teheran bis Varzaneh und Über Abarkuh bis nach Shiraz

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